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Heimatgefühl

Wenn Menschen zu beschreiben versuchen, was für sie Heimat ist, ist oft von Erinnerung die Rede, von einem gewachsenen Gefühl, von einem allmählichen Ankommen oder auch einer Rückkehr. Bei mir war das anders. Das Gefühl von Heimat hat mich vor vielen Jahren spontan angesprungen und sich sehr dauerhaft in mir festgekrallt.

Mich überfiel das Gefühl von Heimat sehr plötzlich, als ich zum ersten Mal bewusst über die Elbbrücken nach Hamburg fuhr. Das Gefühl, dass die Hansestadt mein eigentliches Zuhause ist, setze sich damals mit äußerst zähen Widerhaken in mir fest und ist bis heute unverändert geblieben. Ziemlich absurd, denn damals ging ich noch zur Schule und hatte keinen Tag außerhalb Wolfenbüttels gelebt, ja, Hamburg bis zu jenem Tag noch nicht einmal besucht.

Geht das? Kann man sich spontan in einer Stadt zu Hause fühlen, die man nicht kennt? Heimweh haben nach einem Ort, den man kaum kennt? Bei mir zumindest war es so. Ich war schockverliebt und daraus ist eine große, dauerhafte Liebe geworden. Heute weiß ich, dass ich hierher gehöre, nach Hamburg – oder zumindest an einen Platz im Norden Deutschlands, in der Nähe der Hansestadt.

Wo ist mein Zuhause?

Dabei gibt es durchaus andere Gegenden der Welt, die heimatliche Gefühle in mir auslösen. Wolfenbüttel, die Stadt im Süden Niedersachsens, in der ich aufgewachsen bin, wird immer Heimat bleiben, aber eine, der die Erinnerungen gehören, nicht die Träume und nicht die Zukunft. Das Dorf in Österreich, in dem ich in meiner Kindheit und Jugendzeit nahezu alle Sommerferien verbracht habe. Fahre ich in das Tal, in dem es liegt, macht mein Herz bis heute einen kleinen Hüpfer vor Freude. Mein Auslandsjahr in Italien hat mir eine ewige Liebe zum Land und zu den Menschen eingepflanzt, obwohl ich es im wohl hässlichsten Teil des Stiefels verbracht habe.

Und ich habe viele, zu viele Jahre in einer Stadt verbracht, bei der vom ersten Moment an klar war, dass sie mir nie Heimat werden würde, in München. Bevor jetzt alle München-Liebhaber aufschreien: Die Stadt ist bestimmt schön, die Nähe zu den Bergen toll und die zu Italien noch viel toller. Ich kenne viele Menschen, die die Stadt aus vollem Herzen lieben und sie zu ihrer Heimat machen. Nur ist sie das nicht für mich, war sie nie. Ich habe Freunde in München, die ich gern besuche. Ich freue mich, wenn ich dort bin – und freue mich, wenn ich wieder nach Hause in Richtung Norden, nach Hamburg fahre. Denn das ist der Norden: mein Zuhause. Und ich glaube nicht, dass sich das in diesem Leben noch einmal ändern wird.

Warum Hamburg?

Was also macht Hamburg und Norddeutschland zu meiner Heimat? Warum kehre ich immer wieder hierher zurück? Was löst bei mir ein Heimatgefühl aus?

Das Wasser! Manchmal denke ich, dass das der größte Unterschied zu anderen Regionen ist. In Hamburg ist überall Wasser, in ganz Norddeutschland, selbst im südlichen Niedersachsen, ist es nie weit weg. Irgendwann einmal habe ich rückblickend festgestellt, dass fast alle meine Wohnungen, egal wo auch immer ich gelebt habe, in der Nähe eines Flusses lagen, obwohl ich dies nie bewusst zum Auswahlkriterium gemacht hatte. Ich liebe es, stundenlang an Flüssen oder Bächen entlangzuspazieren und auf Seen herumzuschippern. Vom Meer ganz zu schweigen. Es zieht mich regelmäßig an Nordsee und Ostsee, um mir den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen, den Wellen und den Möwen zu lauschen, die salzige Seeluft einzuatmen. Dass das Wasser bei uns dafür gelegentlich auch mal in größeren Mengen von oben kommt, nehme ich dafür gern in Kauf (das passiert übrigens weit seltener, als allgemein behauptet wird).

Der Himmel! Weit, tiefblau und klar. Oder auch weit, dunkelgrau und bewölkt. In jedem Fall aber weit – so ist der Himmel über Norddeutschland und so liebe ich ihn. Nichts, was sich dem Blick in den Weg stellt, dem Blick von Horizont zu Horizont. Außer vielleicht Wolkenberge in riesigen, bizarren Formationen. Als Kind konnte ich stundenlang auf die Wolken starren und darin Gesichter, Tiere und Gegenstände entdecken. Gebilde, die sich von einem Moment auf den nächsten verändern, weil der Wind sie durcheinanderwirbelt.

Wolken über Norddeutschland

Wolken über Norddeutschland

Heimat liegt in der Luft

Überhaupt der Wind, der gehört auch zu meinem Heimatgefühl dazu. Der Sturm, der mich fast umwirft, mich jedes Jahr mindestens einen Schirm kostet und die Elbe anschwellen lässt. Die Brise, die das Segel meines Schiffs bläht und mich auf der Alster vorwärtszieht. Das stete laue Lüftchen, das selbst im Hochsommer weht und stehende Hitze, die ich nicht gut vertrage, verhindert. Wind, mit dem Gerüche zu mir getragen werden, die typisch für den Norden sind: das Salz in der Luft am Meer, der Duft von vollreifen Getreidefeldern, an denen ich auf schnurgeraden Feldwegen stundenlang entlangradeln kann, und im Winter der Geruch nach Grünkohl, eines der wohl charakteristischen Gerichte der Region.

Wind, der Geräusche zu mir bringt, die mir zeigen, dass ich zu Hause bin: das Tuten der Schiffe im Hafen, das ich noch in meiner Wohnung im Osten der Stadt höre, das „Mäh“ der Schafe auf dem Deich, das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen. Gesprächsfetzen auf Plattdeutsch, das ich einigermaßen verstehe, aber leider nicht spreche. Heimat als Geräuschkulisse!

Heimat ist ein Gefühl

Heimat ist ein Gefühl. Ein ganz starkes. Und damit ist für mich auch klar, was Heimat nicht ist: etwas, das nur mir oder einer bestimmten Gruppe gehört. Das davon abhängt, wo man geboren ist. Gerade eine Großstadt wie Hamburg, in der Menschen aus aller Welt friedlich zusammenleben, die schon immer – bedingt durch den Hafen und die Seefahrt – weltoffen war, kann für Menschen aus aller Welt zur Heimat werden. Mit jedem, der wie ich mit verträumt-verliebten Blick auf die Elbe starrt, teile ich zumindest eine Sache: die Liebe zur Stadt. Das ist doch wundervoll, oder? Schon einige Male sind mir diese ebenfalls hamburgverliebten, völlig fremden Menschen begegnet. Man blickt sich kurz in die Augen und weiß genau, was der andere gerade fühlt: wundervolle Heimatstadt Hamburg. Das hat mit einem verquast-rückwärtsgewandten Heimatbegriff überhaupt nichts zu tun!

Inspiriert hat mich zu diesem Beitrag die Blogparade „Heimatorte“ von Andrea an Anwolf – unterwegs auch mit Hund. Danke dafür.

3 Kommentare

  1. Liebe Cordula, danke dass du mit diesem wunderbaren Artikel an meiner Blogparade teilnimmst. Vieles kann ich gut nachvollziehen. Mir ging es mit Köln ähnlich wie dir mit Hamburg. Dort habe ich lange Zeit gelebt. Und auch jetzt noch, wenn ich den Kölner Dom sehe, wird mir ganz wohlig und warm ums Herz. Und genauso wie du wurde ich im Süden (zwar Salzburg und nicht München) nie heimisch. Nun lebe ich in Braunschweig (haha fast wie Wolfenbüttel), fühle mich wohl, aber Heimat? Nein. Viele Grüße nach Hamburg von Andrea

    • Cordula Natusch sagt

      Hallo, Andrea. In Braunschweig habe ich auch mal gewohnt. Bei mir war es wie bei dir: Ich fühlte mich wohl, aber Heimat? Danke, dass du zu dieser Blogparade aufgerufen hast. LG Cordula

  2. […] habe. Und 2. Weil ich Cordulas Blog Abseits-der-Pfade schon eine ganze Weile kenne. Ihr Beitrag „Heimatgefühl“ ist mir nachdrücklich im Gedächtnis. Weil er wunderbar beschreibt, was man von Wahl-Hamburgern […]

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